Die Reichsprogromnacht am 10.11.1938

„In Vlotho haben die Nazis gehaust wie Wilde“, so berichtet ein Augenzeuge über die Gewalttaten der Nationalsozialisten im Zusammenhang mit dem Novemberpogrom 1938 . Das Attentat des polnischen Juden Herschel Grünspan auf einen deutschen Diplomaten in Paris wurde von der NS-Führung als willkommener Anlass genommen, um im großen Stil gegen die jüdische Bevölkerung vorzugehen. Was wie «Volkszorn» gegen die Juden aussehen sollte, war in Wirklichkeit eine von höchsten Stellen geplante und angeordnete Gewaltaktion gegen jüdische Gotteshäuser, jüdisches Eigentum und gegen jüdische Personen. November die Synagogen brannten, spielten sich die Gewalttaten in Vlotho am helllichten Tage des 10. Novembers ab. Ziel war am frühen Morgen die Synagoge, gegen Mittag das letzte noch bestehende jüdische Geschäft und am Nachmittag die jüdischen Privathäuser und Mietwohnungen. Der Standort der Synagoge ist heute schwer zu beschreiben, da durch das Wesercenter das Gelände überbaut ist. Die Synagoge stand etwa im hinteren Bereich des heutigen Wesercenters, dort wo sich vor Jahren ein Supermarkt befand .Im vorderen Bereich stand das alte Gebäude der jüdischen Schule, im hinteren Bereich, durch eine kleine Gasse erreichbar, die Synagoge. Das jüdische Gotteshaus war ein schlichtes Gebäude, aus verputztem Horststein errichtet und mit einem Ziegelsatteldach versehen. Die Synagoge war mit einem Harmonium ausgestattet. Lange Zeit war unklar, wer in Vlotho das jüdische Gotteshaus zerstört hat.
Durch einen authentischen Augenzeugenbericht aus dem Jahre 1991 wissen wir aber heute Genaueres über die Zerstörung der Synagoge und über die Täter: es waren Personen aus der Vlothoer Amtsverwaltung! Der Augenzeuge war damals Lehrling bei der Amtsverwaltung und kannte die Personen gut, die an der Zerstörung beteiligt waren. Es waren ja seine eigenen Vorgesetzten:
„Am Morgen des 10. Novembers 1938 war ich zunächst im Nebenraum der Amtskasse beschäftigt. Von dort konnte man gut in den angrenzenden Garten gucken. Als ich an diesem Morgen aus dem Fenster guckte, sah ich, wie vier Männer mit Äxten und Vorschlaghämmern aus dem Rathause kamen und durch Rüdenbergs Garten in Richtung Synagoge gingen. Diese Personen waren:

Gustav Vogt, Vollziehungsangestellter bei der Amtsverwaltung Vlotho und SS-Sturmführer,

Wilhelm Krumme, Vollziehungsbeamter bei der Amtsverwaltung und SA-Rottenführer,

Siegfried Kambarthel, Angestellter der Amtsverwaltung Vlotho und SA-Mann.

 

An die vierte Person kann ich mich nicht mehr erinnern. Sie muss mir wohl unbekannt gewesen sein…“

Im März 1949 kam es vor dem Schwurgericht in Bielefeld zu einem Prozess gegen die nationalsozialistischen Gewalttäter. Dabei wurden vier Männer wegen ihrer Beteiligung an den Gewalttaten zu Freiheitsstrafen verurteilt.

                                                                                                                                                                        Finn Eikmeier